Dr. Birgit Schulte, Oberbürgermeister Erik O. Schulz und Dr. Stephanie Tasch freuen sich über den Erwerb des Gemäldes „Blick von Haut Cagnes aufs Meer“ des französischen Impressionisten Pierre Auguste Renoir. (Foto: Clara Treude/Stadt Hagen)


Stadt Hagen restituiert ein Gemälde von Auguste Renoir an die Erben von Jakob Goldschmidt

Pressemitteilung vom 5. Juni 2023 – „Wir sind den Erben zu Dank verpflichtet, dass das Gemälde für die Sammlung des Osthaus Museums gesichert werden konnte.“ Oberbürgermeister Erik O. Schulz betont damit den hohen Stellenwert, den das Gemälde „Blick von Haut Cagnes aufs Meer“ des französischen Impressionisten Pierre Auguste Renoir (1841-1919) aus dem Jahr 1910 für die Sammlung des Museums hat, und das die Stadt an die Erben des jüdischen Bankiers Jakob Goldschmidt restituierte. Im Anschluss an die Restitution konnte die Stadt Hagen das Bild für das Osthaus Museum zurück erwerben, in dessen Sammlung es seit 1989 gezeigt wird. Das Bild wird weiterhin in der ständigen Ausstellung präsentiert werden, begleitet von Erläuterungen zu seiner besonderen Geschichte und Bedeutung.

OB Schulz bedankt sich zudem ausdrücklich bei der Kulturstiftung der Länder, dem Land Nordrhein-Westfalen sowie bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der drei Förderer wäre der Erwerb des wertvollen Gemäldes nicht möglich gewesen. „Wir freuen uns, dass das Osthaus Museum Hagen Renoirs Werk ‚Blick von Haut Cagnes aufs Meer‘ im Sinne einer fairen und gerechten Lösung an den Erben des rechtmäßigen Eigentümers Jakob Goldschmidt restituiert hat“, so Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder. „Gleichzeitig war es uns mit unserer Förderung ein besonderes Anliegen, den Verbleib des Werkes in Hagen zu sichern – hier im Osthaus Museum erinnert es zukünftig sowohl an Jakob Goldschmidt als auch an die Sammlungsgeschichte des Hauses selbst. Denn das Gemälde steht auch stellvertretend für die Sammlungstätigkeit des Museumsgründers Karl Ernst Osthaus.“

Dr. Sabine Rudolph, Heimann Hallermann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Dresden, führt im Namen der Erben Jakob Goldschmidt aus: „Die Erben Jakob Goldschmidts sind froh, dass diese Angelegenheit nach mehr als 15 Jahren intensiven Austausches nunmehr zu einem beide Seiten zufriedenstellenden Abschluss gebracht werden konnte. Die mit der Restitution des Gemäldes verbundene Anerkennung der Tatsache, dass ihr Großvater während des NS-Regimes erhebliches Unrecht auch in Gestalt massiver Vermögensverluste erlitten hat, und die Bereitschaft der Stadt Hagen, dieses Unrecht im Rahmen ihrer Möglichkeiten wiedergutzumachen, obwohl sie selbst nicht unmittelbar davon profitierte, bedeutet ihnen viel.“

Komplexe Provenienzgeschichte
Dank der konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg, mit der Kulturstiftung der Länder in Berlin sowie mit der Anwältin der Erben, konnte im Osthaus Museum die komplexe Provenienzgeschichte des Renoir-Gemäldes nahezu lückenlos rekonstruiert werden. In das Osthaus Museum gelangte das Bild als Vermächtnis aus der Sammlung Berg im Jahr 1989. Nachweisbar ist es im Werkverzeichnis Renoir, wobei die Landschaft ursprünglich mit zwei Figurenstudien auf einer Leinwand existierte, die vor dem Verkauf zerschnitten worden sein muss. Die Kunsthandlung Bernheim-Jeune in Paris erwarb das Landschaftsbild vermutlich aus dem Nachlass, dann ging das Bild über in die Galerie Matthiesen in Berlin, die es vor 1930 an Jakob Goldschmidt vermittelte.

Jakob Goldschmidt (1882-1955) zählte zu den bedeutenden Bankiers der Weimarer Republik. Aufgrund seines jüdischen Glaubens wie auch seiner exponierten Position war er der Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime ausgesetzt. Im Frühjahr 1933 floh Goldschmidt aus Deutschland, um über die Schweiz 1936 weiter in die USA zu emigrieren. Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihm 1940 entzogen, sein Vermögen wurde im Folgejahr eingezogen.

Seine Kunstsammlung, die zwischenzeitlich als Kreditsicherung gegenüber einer Gläubigerbank firmierte, wurde am 25.9.1941 beim Auktionshaus Hans W. Lange, Berlin versteigert, darunter das Renoir-Gemälde (Kat.-Nr. 45). Käuferin war Hildegard Diehn, die Gattin des Wehrmachtsoffiziers Wilhelm Diehn. Nachweisbar ist das Renoir-Bild dann ab spätestens 1960 in der Galerie Nathan in Zürich, wo es der im Bundesverband der Deutschen Industrie amtierende Kölner Prof. Gustav Stein erwarb. Er vermittelte das Bild an Fritz Berg, 1948 Präsident der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen und ab 1949 erster BDI-Präsident. Nach dem Tod von dessen Witwe, Hildegard Berg, gelangte die Kunstsammlung Berg in das Osthaus Museum Hagen.

Erhebliche Bedeutung für das Osthaus Museum
Bei dem Renoir-Gemälde handelt es sich um ein Werk von erheblicher Bedeutung für das Osthaus Museum Hagen. Das 1945 neu eröffnete Kunstmuseum, das sich als Nachfolgeinstitution des 1902 gegründeten Hagener Folkwang-Museums versteht, hat seine Sammlungen klassischer Moderne im Hinblick auf die Folkwang-Sammlung von Karl Ernst Osthaus (1874-1921) aufgebaut. Dieser legte den Grundstein zu seiner Galerie der zeitgenössischen Kunst mit ausgewählten Werken der französischen Impressionisten. So gehörte ein Bild mit dem Titel „Landschaft bei Cagnes“ von Auguste Renoir, den Osthaus zu seinen Lieblingskünstlern zählte, zu seiner Folkwang-Sammlung. Im Jahr 1922 gelangte die Folkwang-Sammlung nach dem Tod von Osthaus nach Essen, in das darauf in Museum Folkwang umbenannte städtische Kunstmuseum. Im Jahr 1930 wurde ein neues Städtisches Kunstmuseum in Hagen gegründet, welches versuchte, im Sinne von Osthaus wieder eine Sammlung moderner Kunst aufzubauen. 500 Werke aus diesem Museum wurden im Sommer 1937 als „entartet“ beschlagnahmt. Der Neuaufbau einer Sammlung moderner Kunst für das neue Karl Ernst Osthaus-Museum ab dem Herbst 1945 orientierte sich wiederum an dem Profil der Folkwang-Sammlung von Karl Ernst Osthaus. Mehrere Schenkungen, wie die der Sammlung Berg, ermöglichten den Aufbau der städtischen Kunstsammlungen unter diesem wesentlichen Aspekt.

Kulturgut mit gesamtstaatlicher Bedeutung
Somit stellt das Bild einen Reflex der bedeutenden historischen Folkwang-Sammlung dar, mit ihrer weitreichenden Wirkung und ihrem großen Einfluss auf die Kunst- und Kulturszene des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland. So belegt die Privatsammlung Goldschmidt durch den Ankauf mehrerer Gemälde von Renoir beispielhaft die starke Rezeption der französischen Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Unter diesen Aspekten lässt sich das Landschaftsbild von Renoir in der Sammlung des heutigen Osthaus Museums Hagen, stellvertretend als paradigmatisch für die Intention, Bedeutung und weitreichende Rezeption der historischen Folkwang-Sammlung bezeichnen. Insofern wird deutlich, dass es sich bei dem Gemälde „Blick von Haut Cagnes aufs Meer“, welches aufgrund seines vergleichbaren Sujets einen direkten Bezug zu der historischen Osthaus-Sammlung herstellt, um ein Kulturgut mit gesamtstaatlicher Bedeutung handelt.

Die Ergebnisse der umfangreichen Provenienzrecherchen lassen die Schlussfolgerung zu, dass das Gemälde als NS-verfolgungsbedingter Entzug einzuordnen ist. Die Stadt Hagen folgt daher bei der Restitution den Empfehlungen für eine faire und gerechte Lösung, entsprechend der Handreichung zur Umsetzung der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingten Kulturgut in der Fassung von 2019, auf der Basis der global vereinbarten Washingtoner Prinzipien von 1998 .

Das Werk wird kontinuierlich konservatorisch betreut und in der ständigen Ausstellung des Museums im historischen Folkwang-Altbau gezeigt.